Ertaubte


Bei ertaubten Menschen war der Hörsinn einst noch entweder komplett intakt oder in reduzierter Form vorhanden. Der Zeitpunkt der Ertaubung (an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit/geringes Restgehör/völlige Taubheit) ist sehr unterschiedlich. Manche verlieren über einen langen Zeitraum hinweg ihr Gehör (z. B. durch Hörstürze oder degenerative Prozesse im Innenohr). Tritt die Ertaubung nach dem Spracherwerb mit ca. 4 Jahren ein, sind diese Menschen meist in der Lage, lautsprachlich zu kommunizieren. Aber auch hier gibt es natürlich Ausnahmen.

Wenn die Ertaubung plötzlich ins Leben tritt, ist es für die Betroffenen oftmals ein Schock. Sie können nicht mehr so am Leben teilhaben, wie sie es bislang kannten. Die Kommunikation ohne Gehör, wenn man es nicht gewohnt ist, stellt sich als schwierig, umständlich und frustrierend dar. In sozialen Kontexten verliert man unter Hörenden vielleicht komplett den Anschluss, wenn keine Rücksicht darauf genommen wird. Sozialer Rückzug, um sich nicht immer wieder ausgeschlossen zu fühlen, ist eine mögliche Folge. Manche Menschen entwickeln aus diesen Erfahrungen in Kombination mit wenig emotionaler Unterstützung psychische Erkrankungen, wie z. B. Depressionen.

 

Durch die Möglichkeit der Implantation einer elektrischen Hörprothese, z. B. der Cochlea-Implantation, können allerdings die meisten Betroffenen wieder Hör- und Sprachverständnis erlangen. Ertaubte lernen oftmals, schneller wieder mit den Hörhilfen zu verstehen als Menschen, die nie zuvor gehört hatten. Das liegt daran, dass ihr Hörnerv zuvor noch stimuliert wurde und sie im Gehirn Hörerfahrungen gesammelt haben. Nichtsdestotrotz erfordert die Rehabilitation nach einer Cochlea-Implantation den Betroffenen viel Geduld, Mühe und Training ab, um mit dem "elektrischen Ohr" wieder Unterhaltungen folgen zu können. Wenn sie die Sprachprozessoren (äußere Hörhilfen der Prothese) abnehmen, sind viele komplett taub.

 

Wie erfolgreich und zufrieden Ertaubte mit ihrem Cochlea-Implantat (CI)/ihren CIs sind, ist individuell. Eines ist jedoch sicher: Das künstliche Hören ist Hochleistungssport für das Gehirn und erfordert höchste Konzentration. Es sind und bleiben Hörhilfen, die den Alltag enorm erleichtern können, jedoch kein Heilmittel zu einem vollständig intakten Gehör sind.

Auch mit einer Hörprothese bleiben ertaubte Menschen hörbehindert.

 

Die Frage nach der (kulturellen) Identifikation bzw. dem Zugehörigkeitsgefühl zu Peergroups bei Menschen, die ertaubt sind, ist sehr interessant. Bei lautsprachlich aufgewachsenen Ertaubten wird in der Regel durch die Möglichkeit der elektrischen Hörprothese die lautsprachliche Kommunikation fortgeführt. Sie können somit in ihrem hörenden Umfeld bleiben. Manchmal wird im Rahmen der Implantation und Rehabilitation in einer Klinik oder dem Hörtraining in einer Praxis auch der Kontakt zu Gleichbetroffenen geknüpft. Damit erweitert sich die Peer-Group auf Menschen mit Hörbehinderungen aller Art. Manche finden auch den Zugang zur Gebärdensprache, die sie als visuelles und körperlich (oder Hörstress) entlastendes Hilfsmittel nutzen können. Manche fühlen sich weder im hörenden noch im hörbehinderten (oder gehörlosen) Umfeld komplett zugehörig. Diese identifizieren sich als sogenannte Zwischenwelter.